Alfred Roẞner
„Wer auch nur ein Leben rettet,
rettet die ganze Welt.“
(Zitat: Mischna, Sanhedrin 4:5)
Alfred Roßner (1906-1943) ist aktuell einer von nur 651 Deutschen (Quelle: Yad Vashem), die vom Staat Israel als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wurden. Dies ist die höchste Auszeichnung, die Israel an Ausländer vergibt.
Seine Geschichte begann im Deutschland der 1920er Jahre, setzte sich fort in Polen, wurde in Australien und Israel bekannt und lebt bis heute weiter in Falkenstein.
Am 17. Dezember 1906 war Alfred Roßner in Oelsnitz/Vogtland geboren worden, seine Eltern stammten aus Treuen und Falkenstein. Die Kinder- und Jugendjahre verbrachte er in Falkenstein, einer Stadt, die nach Plauen die größte jüdische Gemeinde des Vogtlandes hatte.
Zu seinen Freunden zählten auch die Kinder dieser Familien. Seine Eltern, das soziale Umfeld, die Armut der arbeitenden Bevölkerung prägten sein Leben und er wurde Mitglied der sozialistischen Jugend. Sein Vater, der Stadtrat für die USPD war, starb Ende 1920 und seine Mutter hielt die drei Geschwister mit Textilhandel über Wasser.
Am 11. November 1931 wurde er das erste Mal verhaftet. An diesem Tag plante eine größere Gruppe in einem Keller weitere Aktionen gegen die Nazis. Mit denen hatte es schon in der Nacht vorher eine Straßenschlacht gegeben, so wie es anfangs der 1930er Jahre öfter in Falkenstein vorkam. Ende Oktober 1938 wurden alle polnischstämmigen Juden nach Polen abgeschoben, darunter auch seine besten Freunde, die Goldsteins aus Falkenstein und die Verlegers, die 1925 nach Berlin verzogen waren.
Die Verlegers gründeten in ihrer alten Heimat Bedzin eine neue Textilfirma, doch als Juden waren sie, nach dem Überfall der Deutschen auf Polen, gezwungen, ihren Betrieb an einen deutschen Treuhänder zu übergeben. Es gelang Arie Ferleger*, 1940 für diesen Posten seinen Freund Alfred Roßner zu gewinnen. (*Arie Ferleger gehört zur Familie Verleger, schreibt sich aber als einziger der Familie mit einem „F“ am Anfang des Nachnamens) In Bedzin angekommen, erlebte er die Grausamkeiten der Deutschen an Juden und Polen. Schon 5 Tage nach dem Einmarsch der Deutschen in Bedzin wurde die große Synagoge angezündet und Juden umgebracht. Später mussten alle Juden der Stadt in ein Ghetto umziehen. Viele dieser etwa 30.000 Menschen (ca. 8 – 10.000) fanden Arbeit in den Werkstätten Roßners, auch Shops genannt. Er konnte die Firma als kriegswichtig deklarieren und dadurch viele Juden vor den beginnenden Deportationen schützen.
Im Juli 1943 begann die Liquidierung des Ghettos und der Transport tausender Menschen in das nahe gelegene Auschwitz. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begann Alfred Roßner in waghalsigen Aktionen persönlich Juden zu retten und dadurch sein Leben aufs Spiel zu setzen. Er ließ in seiner Firma
Bunker bauen, die als Verstecke dienten, er holte seine jüdischen Angestellten und Arbeiter aus schon bereitgestellten Transporten heraus, er versorgte Sonderausweise und gefälschte Dokumente. Mit falschen Papieren konnte er seine Freundin Lena Goldstein retten, die später bei seiner Familie in Falkenstein, Treuen und Jena versteckt wurde. Damit begaben sich auch seine Angehörigen und Freunde in Deutschland in
Lebensgefahr.
In Bedzin spitzte sich die Lage weiter zu, es erfolgten auch Razzien in Roßners Werkstätten. Und der Judenrat bekam von der SS Listen, wie viele Juden sich zu den Transporten zu stellen hatten. Dadurch bekam er auch mit dem Judenrat Ärger, wenn er seine verfolgten Arbeiter für seine Firma reklamierte.
Am 30. Oktober 1943 wurde er selbst von der Gestapo verhaftet und verhört. Einen Tag nach seinem 37. Geburtstag, am 18. Dezember 1943, starb er an den Folgen eines solchen Verhörs im Gefängnis von Sosnowiec. Seine angereiste Tante konnte ihn nur noch tot sehen.
Die Firma wurde liquidiert, die wenigen verbliebenen Juden abtransportiert. Mehrere Überlebende legten in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel Zeugnis von Roßners mutigem Handeln ab, so auch die 1945 nach Australien ausgewanderte Kitia Altman. Sie konnte 1994 ein Anerkennungsverfahren für Alfred Roßner in Gang bringen. Vor allem für die Phase seines Handelns in der Zeit zwischen Juli bis Oktober 1943 wurde er 1995 als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt und in einer Feierstunde 2002 in Nürnberg posthum geehrt.
2004 beschäftigten sich erstmals Schüler der Wilhelm-Adolph-von-Trützschler Oberschule (damals noch Mittelschule) mit der jüdischen Geschichte in Falkenstein. Das Ergebnis war eine Broschüre, die für den Unterricht verwendet werden konnte. Am 18.12.2010 wurde ein Gedenkstein auf dem Friedhof Falkenstein gelegt. Frau Dr. Hannah Miska schrieb 2018 über die Taten Roßners das Buch „Der stille Handel“.
An der Wilhelm-Adolph-von-Trützschler Oberschule folgten unter Anleitung der Geschichtslehrerin Martina Wohlgemuth und gemeinsamen Schulstunden mit Frau Dr. Miska und Holocaustüberlebenden Schülerprojekte, die vom Land Sachsen mit dem „Sächsischen Heimatpreis für Heimatforschung 2020“ ausgezeichnet wurden. Durch das
Buch von Frau Dr. Miska und die Schülerprojekte nahm die Öffentlichkeit Kenntnis vom bisher fast unbekannten Handeln des mutigen Alfred Roßner und es kam am 18. März 2022 zur Einweihung eines neuen Denkmals – der „Alfred-Roßner-Stele“ - auf dem Falkensteiner Friedhof.
Seit 2022 wird die „Alfred-Roßner-Medaille“ verliehen. Geehrt werden Einzelpersonen, Vereine, Institutionen und Initiativen, die sich für eine demokratische und tolerante Gesellschaft einsetzen.
Bisherige Preisträger:
Richtlinie – „Alfred-Roßner-Medaille“
Formular Einreichung Nominierungsvorschläge 2024
Nominierungsaufruf 2024
Stadtarchiv Falkenstein/Vogtl.
Zeugnisausschnitte
über Alfred Roßner für Yad Vashem vom 24.02.1994, ausgestellt von Henrietta (Kitia) Altmann geb. Szpigelman (Melbourne – Australien, übersetzt aus dem Englischen von Ralf Bachmann, in gekürzter Fassung)
Ich nahm mir lange Zeit für die Beschäftigung mit meinen Erinnerungen an Alfred Roßner. Ich musste vor mir selbst die Gründe für die Überlegung ordnen, warum Alfred Roßner einen Platz unter den Gerechten verdient, und versuchte, die Legenden darüber, was für ein Mensch Alfred Roßner war, von der Wahrheit über Roßner zu trennen. Inwieweit ich bei diesem Streben erfolgreich war, weiß ich nicht. Ich denke, ich stand unter dem Eindruck eines starken Schuldgefühls, ein Versprechen, das ich mir selbst im Mai 1945 gab, nicht eingelöst zu haben, als ich auf einem Boot zwischen Kopenhagen und Malmö endgültig begriff – ich habe den Krieg überlebt.
Mein Überleben war, wie ich glaube, vor allem das Verdienst von Alfred Roßner. Es ist eine schreckliche Aufgabe, die Atmosphäre und die Gefühle jener grauenhaften Zeit authentisch wiederzugeben.
Alfred Roßners Persönlichkeit, seine physische Erscheinung, seine Einstellung zu Juden und seine Position als Chef im Shop waren geeignet, ihn mit Legenden zu umgeben. Gerade damals war die Person Alfred Roßners mit Hoffnung verknüpft. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir damals in ihm einen deutschen „Deutschen“ sahen, für uns war er deutsch, aber nicht „Deutscher“.
Ich denke, es war im Sommer 1940, als ich Roßner das erste Mal traf. Roßners Shop stellte Uniformen für die Wehrmacht her. Dieser Shop gehörte zu der SS-Organisation unter General Heinrich Schmelt. Leute, die hier arbeiteten, wurden als unentbehrlich für die Kriegswirtschaft angesehen und waren geschützt durch einen speziellen „Sonder“. So ein Sonderpass erlaubte es jedem, der dort arbeitete, zwei weitere Mitglieder der Familie zu schützen – also beispielsweise die Eltern oder den Mann und ein Kind.
Einmal sagte Roßner zu mir, der Krieg werde noch weitere vier Jahre dauern. Ich erinnere mich, dass mich ein Gefühl von Panik erfasste und er musste das an meinem Gesicht gesehen habe. Er fügte hinzu: „Du wirst es überleben, aber ich nicht“. Ich konnte nicht verstehen, warum ein Deutscher, der nicht an der Front und nicht in Deutschland ist, wo er durch Bomben getötet werden konnte, an seinem Überleben im Krieg zweifelt und sagte ihm das. Er antwortete, die Deutschen würden ihn töten. Erst viel später, aus der Perspektive der Zeit, wurde offensichtlich, dass Roßner bewusst in Aktivitäten engagiert war, die gegen die Nazipolitik gerichtet waren. Bei drei Anlässen bot er mir die Möglichkeit an, gefälschte Papiere zu erwerben und Bedzin und Polen zu verlassen. Im zeitigen Frühjahr 1943 wurde das Ghetto Bedzin gebildet. Zuvor oder bald darauf kam es zu einer großen Deportationswelle.
Unter den deportierten Leuten waren meine Tante, Onkel und Cousine. Sie sprangen vom Zug und kehrten heimlich ins Ghetto zurück. Ironischerweise machte sie diese Rückkehr zu illegalen Ghettobewohnern: keine Lebensmittelkarten, keine Schlafstätte, keine Arbeit und sie hörten auf, zu existieren. Ich ging zu Roßner und schilderte ihm diese Situation. Er schickte nach meiner Tante und berief sie zu seiner Privatzahnärztin. Das legalsierte sie wieder und berechtigte zu Lebensmittelkarten. Das war eine offene Kampfansage an den „Judenrat“. Ich erinnere mich auch, dass Roßner eine Bemerkung über den Effekt von „meine Juden, deine Juden“ machte, als er über Moniek Meryn und den „Judenrat“ sprach. Meryn erhob häufig und laut Beschwerden über Roßner, dass er so viele Juden beschäftige (zu einem Zeitpunkt über 6.000), die ihre Familien schützen, so dass es schwierig sei, die für die Deportationen festgesetzten Zahlen zu erfüllen. Es war eine Zeit, in der Roßner ein höchst gefährliches Spiel spielte. Roßner musste gute Beziehungen mit der SS pflegen, damit er eine Menge Arbeit von ihnen bekommt. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er sie freigiebig unterhielt und generös bestach.
Im Keller, wo sich die Zuschneiderei befand, hatten einige Leute eine geheime Mauer hinter den schweren Ballen von Militärkleidung errichtet. Wir wussten, dass etwas vor sich geht, aber nicht genau was. Einer nach dem anderen wurde ins Büro gerufen. Ein grimmig dreinblickender Roßner sagte mir, von nun an würden die Türen des Shops für alle offen stehen, die hier übernachten wollen und dass es nicht sicher sei, über Nacht im Ghetto zu bleiben. Ich solle meine Eltern und Familie in den Shop bringen für die „Nachtschicht“.
Es war in der Sonnabendnacht am 1. August, als wir eine Explosion von Lichtern im Ghetto sahen, gefolgt von donnerndem Lärm aus Maschinengewehren. Mit tränenüberströmtem Gesicht, seine blaue Jacke über den Schlafanzug gezogen, kam Roßner herunter und rief: „Sie haben mich betrogen, sie haben mich betrogen“.
Im Verlauf des Tages machte sich Roßner einige Male auf den Weg zum umstellten Ghetto, immer in Begleitung seiner Meister. Roßner wusste, dass sich in einem der Verstecke mein Cousin Aron Ehrlich befand, mit dem er in geheimen Kontakt stand, und dessen Freund er geworden war. Vom deutschen Mechaniker T., der Roßner zum Ghetto begleitete, erfuhr ich folgende Geschichte: Im vollen Tageslicht, in der Mitte des umstellten Ghettos vor dem Haus, wo Arons Versteck war, rief Roßner verzweifelt: “Aron, Aron“. Und dann begann er die Internationale zu pfeifen. T. musste ihn wegziehen, weil er für seine Sicherheit fürchtete.
Auf Roßners Weisung wurden mehrere Wagen unter dem Vorwand ins Ghetto geschickt, Kleider für die Leute im Shop zu holen. Unter den Kleiderschichten wurden Leute in die Shops geschmuggelt, alles in allem wurden 800 bis 1000 Leute vor der Aktion „Judenrein“ gerettet.
Aber wir spürten, die Dinge liefen nicht mehr gut für Roßner. Wiederholt wurde er zur SS gerufen, kam aber zurück. Einem als Lokomotivführer arbeitenden Polen, einem Verbindungsmann zum Widerstand, gab er aus seiner Tasche eine geschwärzte Zigarettenschachtel und sagte auf mich schauend zu ihm: „Das ist reines Gold, wenn Sie und Ihr Freund jemals Hilfe brauchen, hilf ihnen“.
Bald darauf wurde Roßner wieder gerufen, aber dieses Mal kehrte er nicht zurück. Rolnik sagte mir, sie hätten im Landhaus von Roßners Onkel auf dem Land 90 goldene Uhren gefunden. Sie behaupteten, er bekam sie von Juden als Bezahlung für seine Hilfe. Er wurde in Kattowitz ins Gefängnis gebracht. Seine Haushälterin Jadzia, die ihn im Gefängnis besuchte, brachte mir zwei Zettel von ihm: „Sie suchen ein Haar in der Suppe“ und „Die 90 Uhren werden mir nicht eine schwere Stunde schlagen, wenn sie nur erlauben, mich selbst zu verteidigen“. Noch einmal schöpften die 50 Übriggebliebenen Hoffnung, als Roßners Tante mit der Erwartung kam, ihn abholen zu können. Schließlich kehrte sie allein zurück und sagte: Sie haben ihn erhängt, weil er Juden geholfen hat. Ich habe seinen Leichnam gesehen“.
Eine Kopie des Originalberichtes liegt im Stadtarchiv Falkenstein vor.
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Was ist ein Gerechter unter den Völkern?
Das ist ein in Israel nach der Staatsgründung 1948 eingeführter Ehrentitel für nichtjüdische Personen, die während der Herrschaft des Nationalsozialismus sowie während des Zweiten Weltkrieges ihr eigenes Leben in Gefahr brachten, um Juden vor der Ermordung zu retten.
Es gibt für eine Anerkennung mit diesem Ehrentitel vier Hauptkriterien:
- eine konkrete und sicher bezeugte Rettungsaktion für Juden oder Teilnahme an einer solchen
- dabei nachweislich eingegangenes persönliches Risiko
- kein Verlangen einer Gegenleistung für die gewährte Hilfeleistung
- nichtjüdische Abstammung
Personen, die zwar ihr Leben riskiert, aber dafür eine Bezahlung von den geretteten Juden verlangt hatten, sind von dieser Ehrung ausgeschlossen. Vor der Vergabe des Ehrentitels wird von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte „Yad Vashem“ alles sehr genau überprüft. Eine Auszeichnung erfolgt auf der Grundlage eindeutiger Dokumente sowie aufgrund schriftlicher oder mündlicher Aussagen von Holocaustüberlebenden und anderen Zeitzeugen. Man holt dazu ggf. auch authentische Dokumente aus europäischen Archiven, die die von Überlebenden geschilderten Ereignisse bestätigen.
Jemand, der als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wird, erhält eine Medaille mit seinem Namen und einem Zitat aus dem Mischna-Traktat Sanhedrin:
„Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“.
Außerdem übergibt man dem Geehrten ein Zertifikat. Sein Name wird an der „Wall of Honor“ (Ehrenmauer) im „Garten der Gerechten“ in „Yad
Vashem“ in Jerusalem veröffentlicht.
Die Ehrung wird den Geehrten oder – posthum – ihren nächsten Angehörigen in einer feierlichen Zeremonie in Israel oder in ihrem Heimatland durch die Botschaften und die dortigen israelischen Repräsentanten verliehen.
Durch das „Yad-Vashem-Gesetz“ ist die Gedenkstätte berechtigt, den „Gerechten unter den Völkern“ eine Ehrenbürgerschaft zu übertragen sowie ihnen, wenn sie nicht mehr leben, in Erinnerung an ihre Taten ein ewiges Gedächtnis im Staate Israel zuzusichern. Jeder so Geehrte ist aufgerufen, bei „Yad Vashem“ diese Urkunde anzufordern. Falls er nicht mehr lebt, dürfen das seine Nachfahren tun.
„Yad Vashem“ wird dieses Verfahren so lange fortsetzen, wie Petitionen um diesen Titel eingehen und die Kriterien für die Ehrung erfüllen. (Quelle: Auszug aus Wikipedia)
Bild 1: Ehrentafel von Yad Vashem in Jerusalem mit dem Namen Alfred Roßners
Bild 2: Die „Yad Vashem Ehrenurkunde“ für Alfred Roßner aus dem Privatbesitz von Kitia Altmann